Viele Fragezeichen.

Der Westwall Abbild der politischen Bedingungen

Die politische Dimension des Westwalls wurde in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit als vielschichtig und belastet betrachtet.
Erst in den 1980er und 1990er Jahren erschienen Artikel und Bücher, in denen das Augenmerk jedoch eher auf Militärhistorie und (Festungsbau-) Technik gerichtet wurde. Bereits im Vorwort von Groß (1982), dem ersten wissenschaftlichen deutschsprachigen Werk zum Westwall, hat Reiner Pommerin den politischen Zusammenhang ausführlich behandelt.

Wer die politischen Zusammenhänge am Westwall erklären will, muss wohl zwangsläufig "Farbe" bekennen. Eine "neutrale" Dokumentation ist eigentlich nicht möglich. Somit ist der Westwall nicht nur selbst ein Abbild politischer Bedingungen, sondern auch dessen Darstellung über alle Jahrzehnte hinweg seit den 1930er Jahren.

Der Westwall als Ausdruck strategischer Überlegungen ab 1934

Wer Westwall sagt, sagt Politik. Das begann gerade ein Jahr nach der Machtergreifung, als der "Westwall" noch gar nicht existierte. Denn schon 1934 plante die Reichswehr bereits länger angepeilte Hilfsmittel gegen eine Invasion aus dem Westen im heutigen Baden-Württemberg die "Neckar-Enz-Stellung" und im heutigen Hessen und Bayern die "Wetterau-Main-Tauber-Stellung".

Aus Furcht eine Invasion auszulösen standen diese Vorhaben noch im Einklang mit dem Vertrag von Versailles: Sie lagen außerhalb der 50 km breiten Zone östlich des Rheins, die nach dem Vertrag nicht mit militärischen Bauwerken belegt werden durfte. Im Detail wurde diese Zone jedoch nur zum Teil respektiert.

1935/1936: Die Politik der Wiedererlangung der "Wehrhoheit"

Die Gründung der Luftwaffe und die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahr 1935 waren erste deutliche Schritte, die gegen den Vertrag von Versailles verstießen.

Der endgültige Bruch geschah im März 1936 mit der militärischen Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes. Das nationalsozialistische Deutschland hatte sich geradezu pompös von den "Fesseln von Versailles" gelöst.

Wortwörtlich dazwischen lag das wirtschaftlich wertvolle Saarland, das sich gerade ein Jahr zuvor per Volksabstimmung für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich entschieden hatte. Hier entstanden auch die ersten Bunker des späteren Westwalls. Sie waren nach militärischen Gesichtspunkten angelegt und getarnt.

1938: Die Politik der Abschreckung

Das veränderte sich deutlich als 1938 Hitler die Sudetenkrise bewusst schürte. Er setzte auf einen Krieg gegen die Tschechoslowakei und schreckte dessen Verbündeten Frankreich mit den in aller Öffentlichkeit präsentierten tausenden von Bunkern des "Limesbauprogramms" ab.

Spätestens jetzt begann die Propaganda in allen Medien. Es wurde von einer „Verteidigungslinie" berichtet und deren Funktion als "Friedenswalls" betont.

Die Sudentenkrise endete mit dem Münchner Abkommen und dem Einmarsch der Wehrmacht in das Sudetenland. Dies kam einem politischen Sieg des NS-Regimes gleich.

1938/1939: Fortsetzung der Politik der Abschreckung

Hinter Maschendrahtzaun ist ein Zeitungsartikel zu sehen, der auf einer Tafel des Westwall-Wanderwegs Oberotterbach abgedruckt ist. Der Titel des Artikels lautet "Hier kommt niemand durch."

Die Politik der erfolgreichen Abschreckung wird ab Oktober 1938 mit dem "Aachen-Saar-Programm" fortgesetzt und führt zum Bau von Bunkerlinien vor den Städten Aachen und Saarbrücken.
Militärisch waren dies Verteidigungslinien aufgrund der Geländeeigenschaften wenig sinnvoll. Innenpolitisch waren sie aber umso bedeutsamer, weil damit zwei weitere Städte "sicher" durch den Westwall geschützt wurden.

Außenpolitisch durfte diese militärische Präsenz unmittelbar an den Grenzen zu allen westlichen Nachbarstaaten als weitere Drohgebärde verstanden werden.

Diese grenznahe militärische Präsenz zahlte sich während des Polenfeldzugs schon aus, weil erneut jetzt Polens Verbündeter Frankreich sich nur kleinräumige militärische Offensiven traute, u.a. genau gegenüber Saarbrücken.

1944: Nachwirkungen der Abschreckungspolitik

Mag man im Zweiten Weltkrieg dem Westwall als schnell veraltetes militärisches Instrument keine bedeutsame Rolle mehr zuschreiben wollen, so drangen die Alliierten dennoch nur vorsichtig in die befestigten Zonen ein.

Sie versuchten sogar mit dem gescheiterten Unternehmen "Market Garden" sämtliche schwache Befestigungen am Niederrhein zu umgehen.

Folglich boten die Bunker der Wehrmacht in den letzten 10 Monaten des Zweiten Weltkrieges in Europa tatsächlich Rückhalt.

1945: Die politische Tilgung der militärischen Infrastruktur des 3. Reiches

Nach der Kapitulation bildeten sich die Besatzungszonen: die britischen, französischen und US-Amerikanischen Truppen nahmen die Sprengung aller Bunkeranlagen der Westbefestigungen vor und leiteten auch die Rückgewinnung der verbauten Stahlteile ein.

Lediglich im Saarland stellte die französische Besatzungsmacht die Sprengungen bereits 1948 ein. Denn die Bevölkerung und örtliche Verwaltung beklagten die neu entstandenen Kollateralschäden. Das ist der Grund, warum dort an die 800 Westwallbunker intakt blieben.

Die sowjetischen und polnischen Truppen übernahmen zeitgleich die Zerstörung und Verschrottung der Ostbefestigungen, die jetzt auf polnischem und zu einem kleineren Teil auf sowjetischem Territorium liegen.

1950 - 2000: Die Politik der Verkehrssicherung und Verdrängung

In den Jahrzehnten danach übernahm die Bundesrepublik die Bunkerbeseitigungen auf Basis des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes, das heißt Verkehrssicherungen nach Maßgabe der Beseitigung von "Gefahren für Leib und Leben".

Darüber hinaus wurden auch aus "übergeordneten Gesichtspunkten" Mittel bereitgestellt, um Bunker zu beseitigen: etwa wegen "Seuchengefahr, wegen Müllablagerungen" oder aus "grenzlandpolitischen Gründen".

Das führte zur Entfernung von tausenden Bunkerruinen in der Landschaft und zu Kommunen, die Wert darauf legten, "bunkerfrei" zu sein. Diese Vorgehensweise legt eine weitere Motivation dieser Anstrengungen offen, die sich auch als Verdrängungspolitik charakterisieren lässt.

2000 - 2009: Von der Beseitigung zur Unterschutzstellung

Die Beseitigungen dauerten bis etwa 2005 noch an, wurden jedoch bereits seit den 1970er Jahren immer stärker kritisiert. Die Unterschutzstellung von einzelnen Bauwerken in Nordrhein-Westfalen und im Saarland seit den 1980er Jahren dokumentieren dies. Einen Höhepunkt des öffentlichen Drucks markiert ein Spiegel-Artikel im November 2002, gefolgt von zahlreichen weiteren Presseartikeln.

Rheinland-Pfalz war dann 2004 das erste Bundesland, das sich gegen die Beseitigungen von Seiten des Bundes stellte, und zwar aus Artenschutzgründen. Die Unterschutzstellungen als Sachgesamtheit (Baden-Württemberg 2005) und Strecken- und Flächendenkmal (Rheinland-Pfalz 2009) waren Ausdruck der veränderten politischen Überzeugung, dass die Zeit des Nationalsozialismus nicht weiter durch Beseitigung ihrer baulichen Zeugnisse getilgt werden durfte.

Seit 2007: Entmythysierung, Dokumentation und Erforschung

Das verstärkte öffentliche Interesse führte mehrfach zu länderübergreifenden Tagungen. Während der Tagung in Bonn 2007 legten Möller & Fings ausführlich dar, dass das Erzählmotiv des Westwalls noch immer stark von der NS-Propaganda beeinflusst wurde, und ordneten die Geschichte des Westwalls auch in den breiteren politischen Kontext der Ziele des NS-Regimes ein.

In Rheinland-Pfalz führte das u.a. zu einer Neubewertung der bestehenden privaten Initiativen der Erhaltung und Vermittlung von Zeugnissen dieser Geschichte, während die Forschungen von Franke die nationalsozialistische Prägung der am Westwall involvierten Naturschützer aufdeckte.

Zuletzt thematisierte der SWR-Film "Geschichte einer Grenze" den Westwall im Kontext der nationalsozialistischen Abgrenzungs-, Eroberungs- und Rassenpolitik.

Seit 2014: Die Zusammenführung verschiedener Blickwinkel

Der Übertrag der Bunkerruinen von dem Bund auf das Land Rheinland-Pfalz und die Einrichtung der Landesstiftung "Grüner Wall im Westen - Mahnmal ehemaliger Westwall" ist ein historisch bedeutsamer politischer Schritt.

Damit wurden die Themen Denkmalschutz und Verkehrssicherung, Naturschutz, historische und politische Bildung wie auch touristische Aspekte in einer Schnittstelle zusammengeführt. Auch in Zukunft wird die Stiftung Informationen bündeln, Initiativen von Partnern und zivilgesellschaftlichen Akteuren begleiten und auf neue Forschungsergebnisse hinweisen.